Der Giro und die Städte

Der Giro wird oft über seine epischen Gebirgslandschaften und die legendären Anstiege präsentiert. Aber die Corsa Rosa hat auch eine enge und wichtige Beziehung zu den Städten, Ortschaften und urbanen Zentren des Bel Paese. Procycling schaut sich die Geografie, Kultur und Renngeschichte der Bevölkerungszentren der Route 2021 an.

ETAPPE 1 – TURIN – 08. MAI

Die Grande Partenza findet zum dritten Mal in Turin statt, und wie bei den zwei früheren Gelegenheiten erinnert der Giro d’Italia an die Vereinigung des Landes. Nachdem er 1961 bereits den 100. und 2011 den 150. Jahrestag gefeiert hat, kehrt der Giro in die Stadt zurück, die als erste Hauptstadt Italiens diente, nachdem das Land 1861 unter dem Haus der Savoyen vereinigt worden war.

Vier Jahre später zog der Regierungssitz nach Florenz um, aber die großen Paläste, breiten Boulevards und eleganten Säulengänge Turins zeugen noch von seinem früheren Status. Auch wenn Rom und Mailand Italiens politische beziehungsweise wirtschaftliche Zentren sind, ist Turin ein Zentrum für Industrie, Kultur und Lehre geblieben und übt seinen eigenen Einfluss auf das Land aus. 

Turins Autofabriken waren im Herzen des italienischen Wirtschaftswunders in den Nachkriegsjahren und zogen Tausende Migranten vom bäuerlichen Süden in die Städte. Die Agnelli-Familie, Mehrheitseigentümer von Fiat, Juventus und La Stampa, beherrschten Turin, aber es war nicht nur ein Produktionszentrum. Umberto Eco und Claudio Magris gehörten zu der Generation von Studenten, die ihre Ideen in den Cafés der Via Po entwickelten, während der Einaudi-Verlag Turins Einfluss auf die literarische Kultur Italiens verkörperte. In den 1940ern und 1950ern umfasste alleine das Redaktionspersonal so renommierte Autoren wie Italo Calvino, Cesare Pavese und Natalia Ginzburg. 

Wenn Mailands Institutionen von der La Gazzetta dello Sport bis zum Vigorelli es zur De-facto-Hauptstadt des italienischen Radsports machten, hatte Turin auch selbst ein stolzes Erbe in dem Sport, selbst wenn vieles davon über die Jahre vernachlässigt wurde. Das Piemont bringt Rennfahrer nicht mehr mit der­-selben Frequenz wie früher hervor, während nicht einmal die Umbenennung des Velodroms am Corso Casale zu Ehren von Fausto Coppi seinen Erhalt als Radsportstätte sichern konnte. In den Zeiten von Moser und Saronni konkurrierte die Sporttageszeitung der Stadt, Tuttosport, mit der Gazzetta um die besten Geschichten, aber die Seiten, die sie dem Radsport widmet, sind im 21. Jahrhundert deutlich geschrumpft.  

In jüngerer Zeit hat es einige ermutigende Entwicklungen gegeben, nicht zuletzt die Wiederbelebung von Mailand–Turin 2012 mit der Innovation einer Hügelankunft an der Basilica di Superga oberhalb der Stadt. Die Eröffnungsetappe des Giro 2021 ist dagegen ein Zeitfahren durch das Zentrum Turins am Ufer des Po. Der im Piemont geborene Weltmeister Filippo Ganna ist der haushohe Favorit. Für wenigstens einen Tag wird Turin wieder eine Radsportstadt sein. 


Cover Procycling Ausgabe 207

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 207.

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