Das Ende

Trotz Hunderter Siege hat Bob Stapleton bekanntgegeben, dass es das Team HTC-Highroad nach fünf Jahren bald nicht mehr geben wird. Der Traum ist vorbei.

 

Einer der Fahrer, die Bob Stapleton geholfen haben, der wohl erfolgreichste Teamchef aller Zeiten im Radsport zu werden, sagte einmal, der Kalifornier habe ein Problem: „Er glaubt, das hier ist Hollywood und er ist Steven Spielberg.“ Aber in der ersten August-Woche fiel plötzlich und unerwartet der Vorhang für Stapleton und sein mittlerweile weltbekanntes Ensemble. Wenn dies Hollywood gewesen wäre, hätte die Traumfabrik weitere Siege produziert, den Wahrscheinlichkeiten und wirtschaftlichen Zwängen getrotzt, dem Tod ins Auge geschaut, aber schließlich überlebt. Es war nicht so, und das Team hat nicht überlebt. Der Mann hatte recht: Stapleton ist nicht Steven Spielberg.

In den Tagen nach der Bekanntgabe – die wenige Stunden, nachdem der französische Exprofi Jacky Durand die Neuigkeit über Twitter mitgeteilt hatte, per Pressemitteilung erfolgte – herrschten Verwirrung und Frust. Unter den verschiedenen Namen, die das Team seit der Operación Puerto vor fünf Jahren und der Rettung durch den „Investor“ Stapleton hatte, ist Highroad zu einem Phänomen geworden.

Die aus dem alten Regime übriggebliebenen Mitarbeiter waren zusammengezuckt, als Stapleton die Fahrer Andreas Klöden und Matthias Kessler als störende Einflüsse identifizierte und aus dem Kader für 2007 entfernte. Sie hatten lange Gesichter gemacht wegen der Gehaltskürzungen, die zu Stapletons ersten Innovationen gehörten. Aber alle bewunderten bald die Formel, bei der das Siegen sowohl das wichtigste Element als auch das zwangsläufige Endergebnis war. Wie Stapleton uns nach der Fabel-Saison seines Teams 2008 sagte: „Es war eine sehr bewusste Entscheidung, die aus Diskussionen darüber erwuchs, was wir wirklich sauber gewinnen können. Wir trauten uns bei großen Rundfahrten nicht viel zu, aber wir wussten, dass wir Sprints organisieren können, und wir wussten, dass wir an Technik und Fahrposition arbeiten und bei Zeitfahrprüfungen glänzen können. Als der Erfolg zu Erfolg und Selbstbewusstsein führte, fächerten wir unsere Ziele breiter und nahmen nicht nur wenige wichtige Rennen in Angriff, sondern jedes Rennen, bei dem wir – mit dem einen oder anderen Fahrer – antraten.“

Einer der Sportlichen Leiter des Teams glaubt, dass sie etwas erreicht haben, was vielleicht sogar die atemberaubende Bilanz von 484 Siegen mit den Männern und Frauen übertrifft: „Ich glaube, wir waren das erste komplett saubere Team“, sagte er im August. Seit Patrik Sinkewitz und Lorenzo Bernucci im Sommer 2007 positiv getestet wurden, woraufhin der Sponsor T-Mobile absprang und Stapleton erkannte, dass „einige Leute im Team vielleicht aus den falschen Gründen da waren“, hat eine makellose Anti-Dopingbilanz dieser Behauptung Glaubwürdigkeit verliehen. Und dem Boss weiteres Ansehen.

Eine strenge Arbeitsmoral, Glaubwürdigkeit, Stapletons kalifornischer Charme und eine sympathische und internationale Gruppe von Fahrern und Mitarbeitern – Highroad war das Team, das alles hatte. Bis auf eines: eine langfristige finanzielle Unterstützung. T-Mobiles goldenes „Abschiedsgeschenk“ von über 20 Millionen Euro hatte dem Team etwas Luft verschafft, als sich der Telekommunikations-Gigant Ende 2007 nach dem Sinkewitz-Skandal vom Team trennte. Aber paradoxerweise war das die größte Sicherheit, die Highroad jemals hatte. In den nächsten vier Jahren war Stapletons Suche nach einem Sponsor ebenso unermüdlich und flächendeckend wie es die Siege seines Teams waren. Aber nie so erfolgreich.
 
Was genau ging schief? Als das Team im August die Sterbesakramente bekam, wies Stapleton auf die Rezession und die anhaltende Dopingproblematik des Radsports hin, aber das waren bei Weitem nicht die einzigen Probleme. Mit diesen Schwierigkeiten hatten alle zu kämpfen. Wie konnte RadioShack einem Team erneut sein Vertrauen aussprechen, das auf Armstrongs bröckelndem Vermächtnis aufgebaut ist, während Highroad zusammenbrach? Stapleton muss sich diese Frage auch gestellt haben – auch wenn er, wie gemunkelt wurde, die Elektronikkette aus Fort Worth nicht selbst ansprach. Zu den Medien sagte er nur diplomatisch: „Viele Sponsoren-Entscheidungen basieren auf den engen Beziehungen zu den Partnern, und in einigen Fällen gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, was gute und was schlechte Werbung ist … Es wäre angemessener, wenn RadioShack dazu etwas sagen würde, als wenn ich das kommentiere.“

Nein, hier ging es nicht nur um wirtschaftliche Fragen und Doping. Nun, wo Armstrong zurückgetreten ist, Contador unter Dopingverdacht steht und Philippe Gilberts Stern weiter aufgeht, besaß Stapleton mit Mark Cavendish die vermarktungsfähigste Persönlichkeit des Radsports. Aber es gab ein Problem: Von Mitte 2009 an war in seiner Beziehung zu dem Star-Sprinter eine langsame, aber endgültige Kernschmelze eingetreten.

Das Problem fing damit an, dass Stapleton es ablehnte, den Vertrag aufzubessern, den Cavendish bei der Tour de France 2008 ohne die Unterstützung eines Managers verlängert hatte. Dann ging es weiter, als jene Funktionäre und Trainer des Teams Sky, die Cavendish bei British Cycling geformt und gefördert hatten, ihn vor der Präsentation des Teams 2010 für ihren Kader aufbauten. Cavendish hatte das Gefühl, dass Stapleton überängstlich, ja paranoid wurde, nicht zuletzt, weil er in dieser Phase keine Absicht hatte, das „beste Team der Welt“ – wie er es nannte – zu verlassen. Dann ging es ihm gegen den Strich, dass Stapleton sich beeilte, Mark Renshaw und Bernhard Eisel mit neuen, langfristigen Verträgen an das Team zu binden. Versuchte „Blue Chip Bob“, wie viele ihn jetzt nannten, eine menschliche Umzäunung um Cavendish zu bilden, es ihm emotional oder sportlich unmöglich zu machen zu entkommen? Das war der Verdacht des Mannes von der Isle of Man. Und das sagte er Stapleton.

Trotzdem war Cavendish Anfang 2010 immer noch bei HTC, und Stapleton reiste mit seinem Sportdirektor Rolf Aldag nach Italien, in der Hoffnung, die Annäherungsversuche des Teams Sky mindestens noch ein weiteres Jahr zu verhindern. Die Gespräche bei einem Essen in der Toskana waren freundschaftlich, aber keine der beiden Parteien ging mit dem nach Hause, was sie erhofft oder erwartet hatte: Cavendish ohne konkretes Angebot für einen besser dotierten Vertrag, Stapleton und Aldag ohne feste Zusage, mit der sie zu HTC oder einem anderen potenziellen Sponsor hätten gehen können.

Ironischerweise trugen Cavendishs fünf Tour-de-France-Etappensiege in dem Sommer nur dazu bei, die Spannungen zu verschärfen. Anwälte stellten fest, dass die „Option“ auf ein letztes Jahr in seinem Vertrag tatsächlich eine Verpflichtung war, eine weitere Saison zu denselben Bedingungen zu bleiben. Der Frust, der sich über zwei Jahre aufgestaut hatte, platzte nun bei den Commonwealth Games in einem – offenbar geplanten – Wutanfall aus ihm heraus: „Ich werde irgendwie geschmäht für das, was ich erreicht habe, aber ich bin vertraglich verpflichtet, es zu tun, also tue ich es“, sagte er den Reportern in Delhi. „Der Druck, das normale Leben, das ich verloren habe, das sollte mir doch etwas bringen, aber ich bekomme nichts.“

Drei Monate später trafen Stapleton und Cavendish beim Trainingslager des Teams im kalifornischen Morgan Hill aufeinander und wechselten nicht ein einziges Wort. In jener Woche sagte uns ein HTC-Fahrer im Vertrauen: „Egal, was Cav will, Bob muss es ihm bezahlen. Wenn er fünf Millionen will, soll er sie ihm zahlen, weil er der vermarktungsfähigste Fahrer der Welt ist.“ Derselbe Fahrer machte sich öffentlich Sorgen darüber, wie sich die anhaltenden Spannungen auf das Team auswirken würden. Er versprach, dafür zu sorgen, dass „sie vor dem Ende des Camps in einem Zimmer sitzen und sich miteinander unterhalten“.

 

Aber eine Aussprache fand nie statt. Bei den Rennen machte das nichts aus, weil Cavendishs Verhältnis zu seinen Teamkollegen und Sportlichen Leitern ungetrübt blieb. Außerdem war Stapleton, als das Ende von HTC näherrückte, seltener beim Team – einen Investor für eine sieben- oder achtstellige Summe aufzutreiben, war zeitraubend.

Die Gespräche des Kaliforniers mit HTC hatten bei der Tour 2010 begonnen, waren aber kurz darauf ins Stocken geraten. Jetzt, fast ein Jahr später, wurde klar, dass HTC ein größeres Interesse daran hatte, mit Cavendish weiterzumachen als mit Stapleton – vielleicht mit einem Werbevertrag. Trotzdem sah der Chef von HTC Europa, Florian Seiche, die Investition seiner Firma positiv und zeigte Interesse an einer Fortsetzung. Die Regionalleiter der 22 europäischen Länder, in denen HTC seine Telefone verkauft, waren – mit wenigen Ausnahmen – angeblich weniger begeistert.

Aber aus Sicht von Stapleton und seinem Team gab es noch Hoffnung, sogar noch, nachdem der kalifornische Millionär den Medien im Juni mutig von seinen Schwierigkeiten berichtet hatte. Eine Fusion mit den US-Teams United Healthcare und Team Type 1 oder mit Omega Pharma in Belgien oder mit vier anderen Rennställen war im Gespräch. Es gab Treffen in Grenoble, Paris, Amsterdam, Chicago, Atlanta und New York. Am zweiten Ruhetag der Tour zeichnete sich inmitten der Weinfelder und Olivenhaine der Drôme eine weitere positive Entwicklung ab: Im Garten hinter dem Hotel France in Loriol sur Drôme unterhielten sich Cavendish, seine Freundin Peta, Aldag und Stapleton über die Zukunft des Teams. Es war das erste Mal seit Monaten, dass Cavendish und Stapleton miteinander sprachen. Wieder gab es kein festes Angebot oder Ergebnis – nur die Andeutung, dass, würde Cavendish seinen Preis nennen, ein Sponsor oder die nötigen Mittel zur Hand wären. Nachdem der Sprinter vor der Tour bei Sky im Prinzip zugesagt hatte, zögerte er nun. Er wollte nie ein anderes Team, wollte immer noch nicht wirklich weg, auch wenn der Schaden in seiner Beziehung zu Stapleton irreparabel war. Jetzt hatte er ein neues Dilemma – und lukrative Angebote von Quick Step und anderen –, die ihm durch den Kopf gingen, als er sich im Grünen Trikot über die Alpen quälte.

Team-Type-1-Manager Phil Southerland sah den Sprinter auf den Champs Élysées aus dem HTC-Teamwagen siegen. Konnten die Type-1-Co-Sponsoren, der Pharma-Riese Sanofi, Stapletons Retter sein? Auch die Antwort von ihnen war ein „Nein“. Die Suche, nunmehr verzweifelt, ging weiter.
 
Cavendish sagt, er habe seine Entscheidung am folgenden Samstag nach einem Post-Tour-Kriterium in Eindhoven getroffen. Zufällig oder nicht platzte am nächsten Abend ein in die Wege geleiteter Deal mit einem nicht genannten neuen Partner, wie Stapleton sagt, „mitten im Abendessen zum 50. Geburtstag meiner Frau“. Trotzdem wurde den Fahrern und ihren Agenten in den nächsten drei Tagen gesagt, es gebe „gute Neuigkeiten“. Aldag kontaktierte sogar einige von ihnen per E-Mail oder telefonisch, um ihnen die Konditionen für neue Zwei-Jahres-Verträge zu unterbreiten. HTC schien nun doch bereit zu einer Verlängerung. Das war am Mittwoch. 24 Stunden später – nach einer letzten Unterredung mit einer der sieben Parteien, mit denen Stapleton über eine Fusion gesprochen hatte – teilte er seinen Mitarbeitern und der Presse mit, dass sie alle am Ende der Highroad-Reise angekommen waren.

Hat Stapleton die Schuld? Ist er zu gierig gewesen? Beide Hypothesen haben ihre Anhänger, aber wer kennt wirklich die ganze Geschichte? Nicht die Fahrer oder Sportlichen Leiter, die Stapleton selten über die Fortschritte bei seinen Verhandlungen auf dem Laufenden hielt. Vielleicht kennt sie tatsächlich nur „Blue Chip Bob“, dessen Renommee als Geschäftsmann und – in jüngerer Zeit – als Teamchef ihn zum idealen Verhandlungspartner machte. Der Zwist mit Cavendish war bestimmt nicht hilfreich, ebenso wenig das Dopingproblem, zu dessen Bekämpfung sein Team viel beigetragen hat. Oder die fehlenden Strukturreformen im Radsport, die er bei seinem Abschied bedauerte. Oder der wirtschaftliche Abschwung nach den Boomjahren der 1990er, in denen er selbst sein Vermögen machte.

Bleibt festzuhalten, dass das Vermächtnis von Stapleton und HTC-Highroad bemerkenswert sein wird – größer und positiver als das des letzten epochemachenden Radsport-Giganten Mapei. Auch dieses Team feierte mehr als 400 Siege in den neun Jahren von 1994 bis 2002, finanzierte sie aber auch mit der größten Kriegskasse in der Branche. Wie Stapleton betonte, hat Highroad im Gegensatz dazu „Schwergewichts-Resultate mit einem Mittelgewichts-Budget geliefert. Wir hatten ein sehr durchschnittliches Budget“. Mittelmäßig beim Budget, aber herausragend bei Innovationen, Professionalität und Teamwork, denn es identifizierte, förderte und managte junge Talente.

Einer der Sportlichen Leiter von Highroad, Brian Holm, sagte im August über Stapleton: „Er brachte alles auf ein anderes Niveau – uns als Manager, indem er uns nonstop antrieb, die Mitarbeiter, die er zwang sich zu entwickeln, die Fahrer, die nonstop gewinnen sollten. Jeder, der das Team verließ, konnte seinen Preis verdoppeln oder verdreifachen. Vielleicht war es ein bisschen Hollywood, denn das, was er tat, war nicht Jahr für Jahr möglich. Etwas in meinem Kopf sagte immer: Wie sollen wir das nächstes Jahr machen? Dann haben wir es wieder geschafft, weil Bob uns nonstop in den Hintern trat. Wir waren das einzige Team mit einem Bus ohne Dusche. Die Fahrer hassten es. Neue Teams tauchten mit Bussen wie Raumschiffen auf – aber wir gewannen weiter. Die Frage war, ob wir Geld für die Entwicklung oder für einen Bus wie ein Raumschiff ausgaben. Wir machten Ersteres. Bob hat uns alle von Normalos in Superstars verwandelt.“

Das Ende von HTC-Highroad wurde von allen bedauert und von niemandem verstanden. Vielleicht nicht einmal von Bob Stapleton selbst. 



Cover Procycling Ausgabe 92

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 92.

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