Verpasster Titel

Mist, Vierter! Meine Teilnahme bei den Deutschen Meisterschaften hätte ich mir definitiv anders vorgestellt: Der Kurs in Neuwied hatte schon im Vorfeld nach einer Sprintentscheidung geschrien – und am Ende hatte ich tatsächlich Chancen auf das begehrte weiße Trikot mit den schwarz-rot-goldenen Ringen gehabt. Aber daraus wurde nichts. Schade!

 

Dabei verlief das Rennen für uns anfangs nach Plan. Mit nur drei Fahrern waren wir OmegaPharma-Fahrer zwar eine recht kleine Fraktion, aber dennoch versuchten wir, das Rennen zu kontrollieren. Sebastian [Lang] fuhr mit den HTC-Leuten oft vorne, um das Tempo zu bestimmen. Das war aber nicht immer einfach: Zum einen beinhaltete die Runde doch ihre Schwierigkeiten, zum anderen versuchten natürlich alle Nicht-Sprinter das Rennen so schwer wie nur möglich zu gestalten und so unsere Helfer müde zu fahren. Besonders kämpferisch zeigte sich hier mein Teamkollege Sibi [Marcel Sieberg], der für mich nach Tony Martin der Stärkste im Feld war. Als ich drei Runden vor dem Ende Krämpfe bekam und merkte, dass ich nicht mehr in allen Attacken dabei sein kann, sagte ich ihm auch, dass er auf eigene Rechnung fahren soll – am Ende kam es aber trotzdem zum Sprint.

Bei diesem lief der letzte Kilometer aber alles andere als gut: Nachdem es viele Einzelfahrer und keinen geordneten Sprintzug gab, versuchte natürlich jeder, sich in eine gute Ausgangsposition zu bringen. Daraus entstand ein ziemliches Kuddelmuddel, und es ging drunter und drüber. Ich selbst war in zwei, drei Fast-Stürze verwickelt und schaffte es so nur als Zehnter in die letzte Kurve. Und von so weit hinten zu gewinnen ist nun mal so gut wie unmöglich. Am Ende hatte ich zwar die größte Endschnelligkeit von allen, aber mehr als Platz vier war von dieser Position aus nicht möglich. Eigentlich dachte ich sogar, dass ich Dritter geworden wäre – die Kampfrichter sahen das allerdings anders. Im Endeffekt ist das aber egal: Ob nun Zweiter oder 25. – bei dieser DM hatte ich mir einfach den Sieg vorgenommen. Und daher bin ich mit meinem vierten Platz nicht zufrieden. Dennoch möchte ich natürlich Robert Wagner gratulieren. Er ist ja ein ehemaliger Team- und Trainingskollege von mir [Greipel und er fuhren 2005 gemeinsam bei Wiesenhof] und hat sich den Erfolg nach vielen Problemen in diesem Frühjahr wirklich verdient.
 
Wenn ich diese Kolumne schreibe, sind es nun nur noch fünf Tage bis zur Tour. Und ich freue mich schon sehr. Heute verbringe ich noch etwas Zeit mit meiner Familie, und danach beginnen dann die  organisatorischen Vorbereitungen: So muss ich einige Gesundheitschecks absolvieren, und mit der Mannschaft wollen wir auch noch die Strecke des Teamzeitfahrens am zweiten Tag besichtigen, bis am Samstag dann endlich die erste Etappe auf dem Programm steht. Ich bin gespannt, wie es läuft. Auch wenn es die Ergebnisse bei meinen letzten Rennen – vor der DM stand ich noch bei der Tour de Suisse, einem Rennen, bei dem die Veranstalter in diesem Jahr alles taten, um einen Massensprint zu verhindern, am Start – nicht wirklich gezeigt haben, fühle ich mich gut in Form. Im Prinzip geht es für mich um die reine Endschnelligkeit – und die ist definitiv vorhanden. Das hat mir auch der Sprint bei den deutschen Meisterschaften gezeigt, die für mich definitiv besser ausgegangen wären, wenn ich freie Bahn gehabt hätte.

Ihr lest diese Zeilen natürlich erst, wenn die Tour schon zur Hälfte vorbei ist. Daher kann ich euch leider erst beim nächsten Mal einen Rückblick auf die Ereignisse in Frankreich liefern. Am liebsten würde ich euch dann berichten, dass ich meine erste Tour-Etappe gewonnen habe und Gilbert ins Gelbe Trikot gefahren ist. Es wäre natürlich toll, wenn diese Wünsche in Erfüllung gehen würden. Aber die Tour ist nun mal die Tour, und man kann nichts vorhersagen. Auf jeden Fall bedeutet mir mein erster Start dort sehr viel, und ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, mich bei allen zu bedanken, die mich auf meinem langen Weg nach Frankreich von Kindheit an begleitet haben: meine Eltern, meine Familie, die Trainer, Sponsoren und Co. – vielen Dank! Nun drückt mir die Daumen, dass sich meine Wünsche in Frankreich auch erfüllen. Geben werde ich dafür alles!
 
André Greipel ist einer der erfolgreichsten Sprinter im Profi-Peloton. Nach fünf Jahren bei HTC-Columbia und T-Mobile trägt er 2011 das Trikot von Omega Pharma – Lotto.
 


Cover Procycling Ausgabe 90

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